Gedenkveranstaltung zum 10. Todestag von Dr. Gerhard Stoltenberg

25.11.2011

Rede von Jost de Jager auf der Gedenkveranstaltung zum 10. Todestag von Dr. Gerhard Stoltenberg am 25. November 2011 in der Hermann-Ehlers-Akademie, Kiel

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede: Ansprache Familie Stoltenberg - Margot, Dr. Klaus, Susanne.

Vor zehn Jahren und 2 Tagen, am 23. November 2001, verstarb unser ehemaliger Ministerpräsident Schleswig-Holsteins und CDU Landesvorsitzender, Dr. Gerhard Stoltenberg.

Er hat viele Jahre, viele Jahrzehnte, im öffentlichen und politischen Leben Deutschlands gewirkt. Sein Wirken hat unser Land und unsere Partei, hat die Menschen, hat auch mich persönlich nachhaltig beeindruckt und geprägt.

Gerhard Stoltenberg, oder auch „Stolti“, wie er von Menschen, die ihn schätzten, liebevoll genannt wurde, war nicht nur in Sachen Schleswig-Holstein unterwegs. Er hat zudem wichtige Ämter und Funktion auf Bundesebene wahrgenommen und war ein wichtiger Unterstützer des europäischen Gedankens.

In seiner späten Phase als Bundesminister und Bundestagsabgeordneter habe ich ihn im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde persönlich kennen und schätzen lernen dürfen.

Erlauben Sie mir ein paar Worte zu seiner Vita, denn sie wird ihn geprägt und Spuren hinterlassen haben.

Geboren wird Gerhard Stoltenberg 1928 in Kiel. Die Familie stammt ursprünglich aus Holstein. Seine Mutter ist Lehrerin, sein Vater ist evangelischer Pastor. Diese Konstellation, die Berufe seiner Eltern, kommt mir sehr vertraut vor. Nach dem Krieg macht er Abitur und studiert in Kiel Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaft. Nach der Promotion arbeitet er als Assistent am Seminar für Politische Wissenschaften in Kiel, ist dort ab 1956 Lehrbeauftragter der Pädagogischen Hochschule  und habilitiert mit einer Arbeit über „Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918-1933“. 1965 wechselt Stoltenberg in die Wirtschaft. Bei der Friedrich Krupp GmbH in Essen übernimmt er als Direktor die neue Stabsabteilung Wirtschaftspolitik. Lange Jahre war er als Privatdozent weiter tätig. Bereits in jungen Jahren findet Stoltenberg über die Junge Union Eingang in die CDU und arbeitete sich schnell hoch in der Organisation. 1957 wurde er bereits Bundestagsabgeordneter. Ludwig Erhard holt ihn nach Bonn ins Bundesministerium für Wissenschaftliche Forschung. Man sagt, er habe sich dort sehr wohl gefühlt. Das muss stimmen, denn das Angebot des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger für die Leitung des Kanzleramtes lehnte er ab. 
1970 wird Stoltenberg von der CDU Schleswig-Holstein zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 1971 nominiert und es gelingt ihm mit der CDU erstmals die absolute Mehrheit zu gewinnen. Mit 51,9% erreicht die CDU das beste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte. Gerhard Stoltenberg wird sodann zum Ministerpräsidenten unseres Landes gewählt. 1971 wird er auch Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein. Mit ihm kann die Partei ihre Mitgliederzahl bis Ende der 1980er Jahre mehr als verdoppeln. Mit ihm schafft es die CDU auch die Landtagswahlen 1975 und 1979 mit absoluter Mehrheit zu gewinnen. Traumergebnisse!

Stoltenberg hat in seiner Schleswig-Holsteiner Zeit tiefe Fußspuren hinterlassen. Als Ministerpräsident formte er das Agrarland Schleswig-Holstein zu einer immer moderneren Wirtschaftsregion. Infrastruktur, Küstenschutz, Kreisreform und Bildung waren seine Themen. Er führte den Schleswig-Holstein-Tag ein und stiftet die Schleswig-Holstein-Medaille für Verdienste um Landesgeschichte, Volkskunst und Landschaftspflege. Er war ein hervorragender Botschafter und Repräsentant unseres Landes und der Menschen, seiner „Landeskinder“. Mit ihm bekam Schleswig-Holstein in der Bundesrepublik Deutschland auf einmal eine Stimme. Wir bekamen Gewicht in Bonn. Stoltenberg wurde dann als Bundesminister der Finanzen wieder zurück nach Bonn geholt. In seiner Amtszeit ging die Inflation zurück, die Arbeitslosenzahlen sanken, die Wirtschaftslage verbesserte sich. Er setzte eine Einkommenssteuerreform durch: Eingangs- und der Höchststeuersatz wurden gesenkt und steuerliche Ausnahmen gestrichen, das Kindergeld wurde erhöht. Die Wirtschaft wuchs und die Neuverschuldung sank. Auch das Traumergebnisse!

Kenner sagen, Stoltenberg habe mit seiner konsequenten Politik der Sozialen Marktwirtschaft überhaupt erst die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Sanierung der maroden DDR-Wirtschaft in den 90er Jahren geschaffen. Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung hat er noch eine weitere Mammutaufgabe gestemmt: 1989 wechselt er an die Spitze des Verteidigungsministeriums und wird zuständig für die Zusammenführung der Bundeswehr und NVA nach der Wende. Eine gewaltige Aufgabe, die er erfolgreich meistert.

Wenn einer soviel schafft, wie ist er dann persönlich?Der „große Klare aus dem Norden“ wird er genannt. Das sagt schon sehr viel. Zeit seines Lebens stand er für die Prinzipien der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft sowie für starke transatlantische Beziehungen. Grund dafür mögen seine persönlichen Erfahrungen aus dem Krieg und aus den Nachkriegsjahren sein. Auch sein Herkommen aus einem protestantischen Pfarrhaus, feste christliche Wertvorstellungen und seine umfassende Bildung förderten bestimmt eine sozialethisch begründete, ordnungspolitisch orientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie eine Aversion gegen jegliches Planwirtschaften. Etwas, was für mich heute noch uneingeschränkte Gültigkeit besitzt.

Wer Stoltenberg näher kannte, merkte, dass der „Kühle Klare“ in Wirklichkeit warmherzig und liebenswürdig war. Seine Ausgeglichenheit und seine Unaufgeregtheit übertrugen sich auf seine Umgebung. Er suchte nicht das Rampenlicht. Wesensarten, die im heutigen politischen Alltag leider viel zu oft fehlen. Klarheit und Sachlichkeit, Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit waren dagegen sein Markenzeichen, seine Stärken. Stoltenberg hat eine sagenumwobene Fähigkeit besessen: Nämlich spontan druckreif zu sprechen, Wort wie gemeißelt. Eine hohe Kunst! Er war, so würde man wohl heute sagen, typisch norddeutsch, protestantisch, und pflichtbewusst. Und er liebte seine Heimat!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verneigen uns mit Dank und Hochachtung vor einem großen Schleswig-Holsteiner der über Jahrzehnte wie kein anderer die Geschicke unseres Heimatlandes Schleswig-Holstein geprägt hat. Sein Lebenswerk ist auch für unser Vaterland herausragend. Dass sein Wirken über die Parteigrenzen hinaus gewürdigt wurde, ist besonders bei der Trauerfeier am 5. Dezember 2001 deutlich geworden, an der der ehemalige Bundeskanzler und Weggefährte Stoltenbergs, Helmut Schmidt beiwohnte.

Dass Helmut Schmidt, der ehemalige Bundskanzler und Weggefährte Stoltenbergs, am Mittwoch der Kranzniederlegung beigewohnt hat, zeigt die Bedeutung seiner Person und seines Wirkens. Für unsere Partei – die CDU – war Stoltenberg eine Vaterfigur. Als junger Politiker durfte ich ihn kennen lernen, sowohl in Veranstaltungen als auch in persönlichen Gesprächen. Ihm zuzuhören war ein besonderes Erlebnis. Sein Erfahrungsschatz war unermesslich, war es in der Landspolitik, der Bundespolitik und als Finanzpolitiker in der ganzen Welt. In Schleswig-Holstein sprechen wir nicht umsonst von der „Ära Stoltenberg“, denn er hat unser Land vorangebracht. „Der kühle Klare aus dem Norden“ wurde zu einem Markenzeichen. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet und tun das heute in Form dieser Gedenkfeier.

Seine schwere Krebserkrankung ertrug Gerhard Stoltenberg mit der ihm eigenen Disziplin. Bis zum Schluss aktiv, starb er am 23. November 2001 im Kreise seiner Familie in seinem Haus in Bonn-Bad Godesberg. Das für ihn vorgesehene Staatsbegräbnis hatte der gläubige Protestant abgelehnt. Stattdessen wurde auf seinen Wunsch ein Trauergottesdienst in Kiel abgehalten. Viele Politiker aus Bund und Land und zahlreiche Schleswig-Holsteiner gaben ihm das letzte Geleit.

Dr. Gerhard Stoltenberg hat sich um Schleswig-Holstein, um unser deutsches Vaterland und unsere CDU verdient gemacht.